2000-2001Gedicht

Gedicht und Limerick – Schaffensphase Mai – Juni 2001






Nicht endender Sandstrand

Rechts kein Ende
Links kein Ende
Strandnamen wechseln,
doch der Sand bleibt gleich.

Eine moderne Wüste
Zwischen Meer und Stadt

Ein Abschnitt ohne Ende
Sandmengen

Wer kein Ende kennt,
der kennt auch keinen Anfang.

Der Blick reicht fern,
doch so fern nicht.
Der Sand steht stets am Horizont.

Der stumme Begleiter des Blickes,
der sandige Compagnon,
immer zur Stelle.

Strände über Strände,
sie ergießen sich hintereinander,
ohne Unterlass,
als wäre es ein Wettbewerb.

Rückzug des Meeres
Noch mehr Sand
Eine sandige Offenbarung
Ohne Ende, ohne Anfang




Der Grüngürtel durch den Großstadtdschungel

Er zieht sich
und zieht sich
durch den Großstadtdschungel.

Ein grüner Anstrich
Eine grüne Lunge

Wie ein grüner Fluss,
so schlängelt er sich
durch das ganze Viertel,
durch die ganze Stadt.

Er bewässert die Straßen
mit frischer Luft
und lässt so manchen
wieder aufatmen.

Lungen werden entlastet und erquickt
durch das heilende Grün
in ihrer aller Mitte.

Ein Gürtel der Erhabenheit
Klein im Vergleich
Doch groß in der Wirkung

Gesunde Kettenreaktion im Smog
Heilender Ausgleich im Großstadtgift

Wogende Naturwelle
Eine Ordnung kommt wieder ins Gleichgewicht.




Geplatzte Kaugummiblase

Wenn eine Blase platzt,
nachdem man schmatzt,
wird sie einem um die Ohren fliegen
mit einem Knall erliegen,
noch bevor man sich am Kopfe kratzt!




Der Invalide im Dom

Goldglänzende Kuppel,
weithin sichtbar
mitten im Dächermeer.

Zentraler Platz
mittendrin,
nicht zu übersehen.
Veteranenzufluchtsstätte,
Gedenkort für Helden.

Im Leben wie im Tode
herausragend,
ein Monument.

Eines gekrönten Hauptes
letzte Stätte,
umgebracht, im Tode wieder
geehrt.

Napoleon zieht sie an, die Massen,
im Leben wie im Tode.
Einige
abgestoßen,
andere
angezogen.

Niemanden lässt er kalt.
Inmitten der Invaliden
er zur letzten Ruhe gebettet.
Auf eigenen Wunsch hin,
erst spät nach seinem Tod
erfüllt.
War er selbst gebrochen
zum Schluss?
Invalide?




Der ewig junge Kasper

Lustige Tradition im Park,
feste Zeiten an jedem Tag.
Ein buntes Schild tut dies kund,
dann verzieht sich jeder Kindermund
zu einem breiten Lächeln.
Erwartungsvoll stehen sie da,
schnell alle rein,
Geplapper,
Holzbänke für die Kleinen,
Eltern im Hintergrund,
der Vorhang schnell zur Seite.
Begeistertes Kreischen,
Guignol erscheint,
grüßt, spielt, lebt und schreit,
weitere Figuren huschen umher,

Lebendiges Spiel.
Absolute Stille im Publikum,
gebannte Augen,
Atemholen vergessen,
dann wieder Klatschen.
Begeistertes Schnattern,
nach einer halben Stunde
erwartet die Wirklichkeit
alle Verzauberten,
Groß und Klein.




Zwei, die zusammenhalten

Die können auf sich zählen,
zwei verwandte Seelen.
Einer hilft dem anderen,
der Größere dem Fauleren.
Ihnen wird nichts fehlen.




Der wichtigste Platz Frankreichs

Zwölf Strahlen
leuchten ihm,
dem wichtigsten Platz,
ewiges Chaos, ewiges Gedränge,
nie leer,
immer belebt,
oft auch sehr bewegt.

Paraden, Aufmärsche,
Demonstrationen,
Zur-Schau-Stellung
der Achsen.
Hauptweg.
Ende und Anfang.
Knotenpunkt.
Früher oder später müssen
alle auf ihm vorbei.

Ein kreisrunder Platz.
Die Palais
passen sich
dem Kreis an.
Leicht konkave
Fassaden,
vornehm zurückgesetzt
führen zum
harmonischen Gesamteindruck.

Er ist präsent,
auch der Staat sich zu ihm bekennt,
ganz gleich welcher Couleur
die Place wie eine riesige Fleur.
Ewig blühend,
niemals verwelkt.
Erstrahlend unter der
blauen Himmelskuppel.




Analoge Résistance

Wer sich dem Digitalen versperrt,
der hat so einiges, was er abwehrt.
Er lehnt Smartphones ab
und Apps, die halten nur sinnlos auf Trab.

Bücher findet er richtig gut,
E-Books sind Teufels Zeug.
Analoger Widerstand
zeugt von viel Verstand!

Doch ist man damit in der Minderheit,
denn die digitale Mehrheit
folgt so gern der Dummheit.




Das Südtor der Ranch

Zurück in die Vergangenheit
An den Ursprung
Die Ranch des
Don Antonio Maria Lugos.
Das Südtor der Ranch,
South Gate,
der Ausgangspunkt des Viertels,
der Geburtsort.

Dort, wo einst Felder waren,
wo Pferde galoppierten
und ein frischer Wind wehte.

Dort herrschte die Natur
und das Grün erhob sich.
Eine Landschaft,
gemalt wie aus dem Bilderbuch,
geschaffen für die Ewigkeit.

Eine Ewigkeit, die
ein Ende fand.
Eine Betonwüste,
die dort ihren Anfang fand.
Am Tor des Südens.




Der Nordbahnhof

Schönster der sechs Kopfbahnhöfe.
Monumental,
riesige Halle,
grenzenlos,
hell,
angenehmes Licht,
immer voll.
Menschen auf der Reise.
Anzeigetafeln klackern,
Zahlen drehen, Buchstaben wechseln,
Züge rollen leise heran.
Croissantduft wabert umher.
eine Glocke des guten Geruchs,
ein Willkommensgruß
an den gestressten Ankömmling.

In ruhigen Momenten – rar –
hört man sie noch,
das Schnaufen des Dampfes,
das Quietschen der Eisenräder.

Seitdem Millionen Seelen
hier durchgeschleust,
vom Norden
in den Norden.

Gare du Nord nicht allein.
Schwester nicht weit,
Gare de l’Est sich verneigt.




Die tödliche Schießerei oder vom Ende eines Lebens

Vier Schüsse fallen.
Mehr waren es nicht.
Sie hallen nach
mit ihrem tödlichen Echo,
liegen in der Luft,
noch Tage, Wochen später.

Vier Schüsse, die reichten,
um maximalen Schaden
anzurichten.

Leben zerstört
Lebensfaden zerrissen

Familien in den Abgrund gestürzt,
Leben in die Hölle verfrachtet.
Unglücksschatten liegen über vielen Seelen,
trauernden Geistern.

Rotes Blut
im grünen Park,
der eigentlich Frieden stiften wollte.
Eine Lache des Entsetzens,
Blutpfütze des Grauens.

Endgültigkeit
Unumkehrbarkeit
Eine Plakette erinnert.
Vier Mal




Das Schweigegelübde der Mönche

Nicht jeder möchte reden,
schon gar nicht mit jedem.
Drum ist das Schweigen Gold wert,
was einen die Stille so alles lehrt.
Sie ist ein wahrer Segen!




Der bekannteste Pariser Verbrecher: François Villon

Aus dem Dunkel gekrochen,
ins Dunkel verschwunden.
Bekanntester Pariser Verbrecher,
Magister der schönen Künste
an der Sorbonne.
Fall ins Zwielichtige,
ewige Flucht vor Gesetzeshütern.
Inkognito als Dichter unterwegs,
doch irgendwann erwischt,
verurteilt zum Strang,
errettet durch eigene
Galgen-Balladen
und Appell an Richter.
Begnadigung,
Verbannung,
für immer verschwunden.

Seine Buchstaben sind geblieben,
seine Geschichte fasziniert:
rätselhaft,
dunkel,
leidenschaftlich.
Sein Name
hat es durch die Jahrhunderte
geschafft,
ist nicht verblasst.




Die alleingelassene Familie

Der Ernährer, der verstirbt,
eine Familie, die bürgt.
Zentrum des Familiengeschehens
Der Verdiener ist tot!

Ohne Geld alleingelassen,
wird man sie vom Hofe schassen?
Ungewisses Schicksal
Was für ein Fallbeil

Viele Kinder, die bitterlich weinen,
wie ein Albtraum muss dies scheinen,
ihnen ist zu viel auferlegt,
ein Einschlag, wie der von einem Komet!




Auf Papier festgehaltene Ideen

Abgetaucht in der Bücherwelt,
hinter verstaubten Regalen
und vergilbtem Papier.

Ein Labyrinth aus Gängen,
dunklen Korridoren
und langen Bücherreihen.

Sie alle führen irgendwohin,
zu einem Werk,
zu einer Seite,
zu einer Idee,
die es wert war,
auf Papier festgehalten zu werden.

Man wandert umher,
auf der Suche nach diesem einen Buch,
das eine, das die Fragen beantworten wird.

Irgendwo in der Bibliothek,
da wird es sein.
Ein Schatz wird hier verwahrt.
Bergen, muss man ihn nur.




Der Silberlöffel an der Wand

Statt eines schönen Bildes
oder mittelalterlichen Schildes
hängt ein Löffel an der Wand
an einem langen Band:
Besser als was Wildes!




Vergessene Berufe

Menschen mit großen Körben,
Kisten,
Eimern,
Handwagen,
Leiterwagen.
Längst von den Pariser Straßen
verschwunden.
Einst so vertraut –
vergessene Berufe,
die die Stadt nicht mehr braucht.

Kaum noch jemand,
der sie erinnert,
zu lang her,
zu schnell der Fortschritt.
Ach, der Milchmann,
der ist noch bekannt,
fällt allmählich aus der Erinnerung,
die anderen für immer versunken.

Manchmal triff sie noch jemand
auf alten Postkarten,
in seltenen Büchern.

Wenn der Alltag ausstirbt!




Vom Modesalon zum Musiksalon

Stolze Besitzerin
einer Modeboutique
zu Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts verewigt.
Vor dem eigenen Geschäft.
Eleganter Schriftzug
im Schaufenster.
Verhaltenes Lächeln,
lange Röcke, helle Blusen.
Modeträume im
kleinen Schaufenster.

Zeitsprung.
Ein Jahrhundert verflossen.
Geschäft geblieben,
Waren geändert.
Ein Reparatursalon
für Querflöten.

Ein künstlerischer Gruß
durch die Jahrhunderte.




Beim Heben der Reuse

Der Fischer an der Schleuse
hob seine volle Reuse.
Womit er nicht gerechnet hatte,
darin befand sich eine Ratte,
keine Fische und viele Mäuse.




Die Schwimmhoffnung aus dem Nichts

Eine vergessene Sportart hier
Basketball, Baseball, Football
Aber Schwimmen?
Wer schwimmt hier denn schon?

Einer, der es wissen will.
Einer, der die Karten auf den Tisch legt
und sehen will,
was er dafür bekommt.

Verbissene Einstellung
Scharfes Training
Harter Geist

Er gibt nicht auf.
Keine Option
Gegenwind, der spornt nur an.
Spott und Häme, die härten ab.

Der Schimmer aus dem Nichts
Hoffentlich kommt er vom Kurs nicht ab.




Wertvolle Lebenslektionen

Das Leben spielt grausam,
mal schnell, mal langsam,
Auf dem Weg erhält man Lektionen,
manche gute, die sich lohnen.

Andere lässt man lieber aus,
die sind hässlich, voller Graus.
Aus den wertvollen Lehrstunden
sollte man Schlüsse ziehen,
sonst folgen weitere Runden.

Lektionen sind zum Lernen da,
sonst folgen sie immer wieder.
Besser einmal hart,
als dreimal härter.




Winterzaubereien

Selten zieht die Schöne ihr weißes Kleid an,
wenn – dann aber prächtig.
Weiße Flocken rieseln hernieder,
bedecken Eiffelturm und Parks.
Parks im Winter in Paris –
welch ein Traum!
Ruhe, gedämpfter Trubel.
Winterzauber.

Die ganze Stadt verlangsamt,
beruhigt statt frenetisch,
leise statt ohrenbetäubend.

Diese kalte Auszeit,
leider viel zu selten
und viel zu schnell vorbei.
Weiße Flocken zu
braunem Matsch,
Bürgersteige schnell freigetreten,
zu viele Füße trappeln,
trippeln, in Bewegung.

Es bleibt – eine Erinnerung
und
eine Hoffnung
auf
ein Wiedersehen
im weißen Glitzerkleid.




Das Siezen in der modernen Ehe

Wer mit dem „Du“ bricht,
nur noch mit dem „Sie“ spricht.
Vertraute Nähe fällt dann weg,
fürs Erste ein großer Schreck!
Doch Anstand ist der Gatten Pflicht.




Donald Trump protzt auf dem Golf Club

Milliardär
Immobilien-Tycoon
Exzentrische Erscheinung
Ein Angeber,
der seinen Reichtum zeigt.

Er schwingt den Schläger
und folgt beherzten Schrittes,
das Leben ist ihm gut gewogen.

Auf seinem Golf Club,
da ist er der König,
nur er entscheidet,
was passieren darf.

Er schuf eine exklusive Umgebung,
ein Paradies für Reiche am Meer.
Ein teures Grün,
das dort wächst
und seine Schritte federt.
Nur einer nimmt’s gelassen:
Der Pazifik.




Ein Kuss für die Ewigkeit

Liebe in
Weiß und Schwarz
auf Fotoplatte
gebannt,
der bekannteste Kuss
der Fotogeschichte
vor dem Rathaus
scheinbar im Vorbeigehen
eingefangen.

Die Realität
lieblos,
ein belangloser Schmatzer
zwischen zwei Freunden,
bewusst gestellt
vor der Pariskulisse,
der romantischen Prämisse.

Das Kussbild,
eine trügerische
perfekte Liebe.




Hitzige rhetorische AG-Debatten

Früh eingeübt
Gut einstudiert
Nachwuchsredner
In der Rhetorik-AG

Anträge niedergeschmettert
Positionen attackiert
Argumente und Gegenargumente
Verbaloffensive
Mikrofone laufen heiß
Debatten eskalieren

Man hört nicht zu,
man schreit nur rum,
so lässt sich nicht diskutieren.

Haben sie das erst überstanden,
sind sie für später
gut gewappnet.




Ein Maler sieht grün

Immer nur die Farbe Blau,
das macht den stärksten Maler mau.
Grün wäre eine Abwechslung,
für die Augen eine Heilung.
Oder wenigstens Grau!




Die Elevinnen hausen hoch

Kuppeltraining
der Ballerinen
jeden Tag
im obersten Stock
der Garnier-Oper,
gewissermaßen
Höhentraining.
Elevinnen
ausdrucksvoll,
technikerprobt,
hart,
diszipliniert.

Ein runder Raum,
fensterlos,
nur Aussicht
auf Spiegel
und die eigene Haltung.
Unermüdliches
Training
mit Blick
auf die Eisenträger.

Wer die Opéra
klein und jung
betritt,
kennt nur ein Ziel:
das morgendliche Kuppeltraining
im obersten Stock
für die Profis.




Heimat von Filmkostümen

Ein lockerer-weißer Bau
mit imposantem Inhalt.
Heimat von Kleidungsbergen

Man kennt sie?
Doch von woher?
Hat man sie nicht schon einmal gesehen?

Erinnerungen kommen hoch,
von längst vergangenen Filmen.

So manche Hauptfigur
wurde hier ausgestattet.

Ein Horrorclown
Eine Königin
Ein Superheld
Ein Schurke

Sie alle finden,
ihre Bekleidung hier.

Komisches Gefühl,
die Kleider der Stars
so leblos anzusehen…




Der Provence entsprungen

Ein Provencegestrüpp
mit Englischlehrerambitionen.
Die Literatur
greift nach Marcel Pagnol
in der Lyrik.
Dramaturgenkarriere
aufgrund geglückter
Theaterstücke.

Im Lebenswandel
unstet, seine
Kinder
auf verschiedene Mütter
verteilt.

Enge Beziehung
zum Vater.
Von glücklichen Hügeln
umringt,
im Kinderparadies
herangewachsen,
verewigt in seinen
Souvenirs d’enfance.




Die erzwungene Schottlandreise

Da hat jemand keinen Bock
auf Edinburgh und Schottenrock
und möchte sich vor der Reise drücken,
wo andere geraten in Entzücken,
flieht er auf die Knock!




Stippvisite in der Heimat

Für wenige Stunden in sein Heimatland,
das ist für ihn ein ewiges Band.
Verbunden fühlt er sich mit den Gebräuchen,
für ihn sind sie kein Wein in alten Schläuchen.

Wie gern bliebe er doch länger hier,
das ist schließlich sein Urrevier,
doch ruft die Pflicht ihn schnell zurück,
das ist sein wahres, großes Unglück!




Wer ist der Rücksichtsloseste auf der Prachtstraße?

Im Licht der Straßenlaternen
Motorenröhren
der hochtourigen Art.

Teure Boliden
brausen los
ohne Rücksicht.
Passantengleichgültige
Fahrer
rasen um die Wette.
Startpunkt RER-Station
Henri Martin,
Zielpunkt
Triumphbogen.

Die Bremsen kreischen,
die Schaltknüppel zucken,
der Rücksichtsloseste
gewinnt,
nachts
auf der Avenue Victor Hugo.




Die Baumschule am Boulevard

Pflanzentöpfe aufgereiht
Ein Tupfer Grün
inmitten der Stadt.
Eine Baumschule, ihr Territorium

Die Pflanzen gedeihen
in der Großstadt-Sonne.

Ins ganze Land,
da werden sie später geschickt.
In alle Himmelsrichtungen,
da werden sie
ihre neue Heimat finden.
Wurzeln schlagen
und neue Triebe ausbilden.

Unter fremden Leuten,
doch die Sonne,
sie bleibt stets gleich.




Mephisto trifft auf Faust

Im Keller vom Auerbach
flackert das Licht ganz schön schwach.
In Mengen fließt der gute Wein
nur Gretchen, die steht ganz allein
und schüttelt den Kopf bei diesem Krach!




Auf dem Lande in der Stadt

Dicht an dicht
drängen sie sich,
kleine Steinhäuser,
die Landhauscharme versprühen.
Mitten in Paris.

Sie entführen
in die Ruhe,
in die Beschaulichkeit.
Blumen statt Benzingeruch,
Heckenrosen, Akazien, Geranien.

Es duftet frisch
im kleinen Idyll
im 20. Arrondissement.
in der Rue Jules Siegfried.

Hier kann man als Ländler
in der Stadt überleben,
ohne Städter zu werden.
Eine Landoase im Betongewühl.
Vom Smog vergessen.
Vom Stress verschont.

Niemand denkt hier an Touristen.
Die gibt es drüben,
in der Stadt.




Blaue Hügelkeramik

Ateliers in Hinterhöfen.
Typisches Hügelblau.
Charakteristisches Montmartreblau.

Die Kreativität
geht mit ihnen durch.
Die Montmartre-Keramiker,
ein eigenwilliges Völkchen.
Mal verschwiegen, publikumsscheu,
dann redselig mitteilsam.

Ihre Arbeiten grandios.
Nicht nur Touristenware.
auch auf Friedhöfen,
Vasen für Blumen,
Erinnerung an Verblichene.

Die Keramik, Teil des Alltags.
Erdige Farben
ausgestellt auf Borden,
an Mauern
im Freien.
Mühlen, Uhren,
Enten, Eierbecher.
Nichts, das es nicht gibt,
aus Keramik
im typischen Hügelblau.




Das Ende eines Flüchtigen

Auch das beste Versteck
und eine Miene so keck,
brachte dem Flüchtigen nichts
angesichts des langen Arms des Gerichts.

Seine Rettung war Trug,
selbst der weiteste Flug
verschaffte ihm wenige Tage,
die gründlichen Beamten sind seine Plage.

Sie beißen sich fest wie Hunde
und bringen ihm schlimme Kunde.
Einsitzen muss er und zwar lange,
da wird ihm schnell Angst und Bange.




Die tödliche Lektüre

Trotz aller Schwüre
griff er zur Lektüre!
Da war es nicht verwunderlich,
dass es endete tödlich.
Der Preis für jede Allüre!




Weithin sichtbar: Die Kirche Vinzenz von Pauls

An historischem Ort erbaut,
einst Haus Saint Lazare,
Hort der Congrégation de la Mission,
Wirkungsstätte Vinzenz von Pauls.

Finanzierungsprobleme,
Julirevolution 1830,
verzögertes Wachstum,
die Kirche wächst langsam.

Ein neoklassischer Tempel,
weithin sichtbar
erhaben aus dem Häusermeer.
Eine Treppenflut führt hinauf,
schon der Aufgang majestätisch.

Goldene Orgel,
himmlische Klänge
erfüllen das Hauptschiff.

Kirschblüten, zartrosa,
Frühlingswächter der Kirche.

Eine Kirche im Realen,
ein Justizpalast im Film.
Gerechtigkeit eint.




Der Export japanischer Kultur

Japanische Schriftzeichen
Markantes Ziegeldach
Buddhistischer Tempel

Holz als Baubestandteil
Fremdartige Formen
Kunstvolle Strukturen

Ein Kondo
Ein Hondo
Japanisches Leben entfacht

Klein-Tokyo gleicht einem Dorf
Ein Dorf in einer Großstadt
Ein Fels mitten im Ozean
Umringt von Wellen
Doch er steht still.

Auch Stürme lassen ihn
unbeeindruckt.
Sie kommen,
sie gehen,
doch der Fels steht.




Die Flagge auf dem Senat

Ein Stück Stoff im Wind
allein auf dem höchsten Türmchen.
Gehisst auf ewig,
flatternd tagein, tagaus.
Meist ganz oben,
selten auf Halbmast.

Symbol Frankreichs,
tiefe Verbundenheit,
blau, weiß, rot.
Starke Farben, Identitätsfarben.
Stolz, Republik, Werte.
Der Sénat erinnert daran,
nicht zuletzt mit der Flagge über
seinem Dach.




Die lästige Stromsperrstunde

Wird der Strom erst rationiert,
das Land dann schon längst verliert.
Man bekommt Strom zugeteilt,
bevor der Blackout uns ereilt!
Das Stromnetz ist nicht gerade optimiert.




Das vergessene Bankett

Ein Zeltbankett
im Tuileriengarten
zu Ehren der Bürgermeister,
22965 an der Zahl.
Im neuen Jahrhundert,
zur strahlenden Weltausstellung.

Am 22. September 1900
zu Ehren des Jahrestags der Ausrufung
der 1. Republik, 108 Jahre zuvor.

Zwei riesige Zelte,
7000 Tischmeter.
Ein Symbol der Einheit
nach der Dreyfus-Affäre,
des versuchten Staatsstreichs von 1899,
der zahlreichen lähmenden Streiks.

3000 Kellner und Köche,
10 Kilometer Tischdecke
125 000 Teller,
3500 Salzstreuer,
700 Senftöpfe
2500 Liter Mayonnaise.

Bestellung per Fahrrad übermittelt,
der Chef kontrolliert im Automobil,
rollt aufmerksam
durch die Alleen.

Die Bürgermeister hatten großen Appetit.
Fast anderthalb Stunden Tuilerienschmaus.
Bis heute dort nicht wiederholt.
Eine Idee?




Aufruhr auf dem Festival

Harmlos fing es an.
Eine kleine Rempelei
Ein Schubsen und Schreien
Ein Raufen und Pöbeln

Doch wuchs die Aggression,
wie ein Flächenbrand entfacht.
Ein Schlag, ein Tritt
Selbstgerechtigkeit ausgeübt

So geht es weiter
und immer mehr
folgen dem schlechten Beispiel.

Das Festival,
es liegt in Trümmern,
denn keiner achtet es.




Vom Wert der Pause: der Pausenemil

Wer den Wert der Pause nicht kennt,
der stets mit Stress durchs Arbeitsleben rennt.
Sich auch mal fallenlassen können,
das muss man sich am Tage gönnen:
Preiset den Pausenmoment!




Der erhobene goldene Daumen

Dort passt er hin,
der erhobene Daumen
in Gold
vor dem Centre Pompidou.
Im Winter 2017.

Ein überdimensionierter Nagel,
faltige Haut.

Er mahnt.
Wofür?

Ist er ein Kunstwerk?
Oder ein Unglück?
Ein sechs Meter hoher Betrug.
Einfallslos, lächerlich,
passend zur modernen „Kunst“.

Wer findet ihn toll?
Gar erhaben?
Zum Widerspruch,
zum schnellen Abbau
regt er an.




Das Labyrinth unterirdischer Kellergewölbe

Leicht kann man sich hier drin verirren
und wird ziellos umherschwirren.
Hier unten sieht alles gleich aus:
Wand, Flur, Tür und Maus.
Erbaut in den Revolutionswirren.




Ende

© 2021 Nicolette Marquis https://www.carminis.de