2000-2001Gedicht

Gedicht und Limerick – Schaffensphase November – Dezember 2001






Flughafengäste aus aller Welt

Aus allen Ecken,
aus allen Ländern,
aus aller Welt.

Sie strömen herbei,
sie wuseln und laufen
auf engstem Raum,
da treffen sie sich.

Internationalität
Ein Hauch von Vereinten Nationen

Fremde Sprachen,
fremde Völker.
Ein Ort sie eint.

Ein Fleckchen Erde sie zusammenführt.
Begegnungsstätte: Flughafen

Eine interessante Mischung
Zusammengestellt vom Zufall
Zusammengewürfelt durch Fügung

Und doch eine Einheit,
wenn auch nur
für sehr kurze Zeit.

Eine Reise,
die sie bindet.
Ein Ziel,
das sie zusammenschweißt.

Nachbarn aus anderen Kontinenten
Reisekameraden aus fernen Ländern




Einmal nach Downtown, bitte

Metropolen-Besuch
Downtown darf nicht fehlen.

Warnungen!
Gab es viele.
Gefährliches Pflaster
Gangs und Obdachlose
Armut in den Straßen
Camps am Bürgersteig

Daneben die reichen Hochhäuser
Glitzerfassaden
Es prallt aufeinander.
Betonstadt in Armut

Straßen trennen Welten
Universen, die parallel verlaufen

Wirtschaftliches Zentrum,
umringt von Elend.

Prosperität für Wenige
Zu Wenige
Ausschluss durch Geld

Mit dem Taxi durch die Welten
Fahrt der vielen Facetten
Erschreckend und erhellend zugleich

Einmal nach Downtown, bitte.




Eine schiefgelaufene Zahnbehandlung

Ist erst der falsche Zahn gezogen,
fängt der Patient an zu toben!
Schließlich muss noch der Zweite raus,
was ist das nur für ein Graus!
Man wird um seine Zähne betrogen!




Der Friedhof der Unschuldigen

Letzte Ruhe für die Schuldlosen.
Ein Carré
mitten im Herzen,
aufgelöst bei Nacht und Nebel.
Tausende Seelen
gestört,
der Erde entrissen,
weggekarrt.
Niemand sollt‘ sie sehen.

Ein zweiter Trauerzug.
Die Unschuldigen doppelt bestraft:
im elenden Leben –
im Tode.

Heute Einkaufsparadies.
Makabrer Scherz.
Ausverkauf
der Seele –
der Seelen.
Eilige Hetze,
flüchtiges Glück.
Drehkreuz der Begierden.

Wer erinnert
an die Unschuldigen,
die Fortgeschafften?
Die Fontaine
der Unschuldigen,
der Platz der Unschuldigen.
Namen ohne Bedeutung
für die meisten Passanten.

Bei Nacht
Wehklagen,
kaltes Grausen,
Schatten
Sind sie es?




Die Untergrundbahn naht

Labyrinth im Untergrund,
eigentümlicher Geruch,
Fahrtwind,
weiße Kacheln,
Namen auf blauem Grund,
erinnern an Schlachten,
Männer, Orte, Städte.

Warten am Bahnsteig,
nie lange,
Plakate betrachten gegenüber,
schrill, grell, bunt.
Leute laufen auf den Steig,
warten,
erwartungsvolle Spannung,
entferntes Rattern tönt aus dem dunklen Schlund,
es wird lauter,
Fahrtwind weht entgegen,
der Lärm ohrenbetäubend,
die Bahn zu sehen,
biegt um eine Kurve,
fährt ein,
verdeckt die Plakate gegenüber.

Leute spuckt sie aus.
Gedrängel, Getrappel, Geschubse.
Leute zwängen sich rein.
Ein Alarmton.
Türen klackern,
gehen endgültig zu,
es geht weiter.
Bahnsteig leer.
Fast.




Das Geheimnis im Buch

Ein Geheimnis ist darin verborgen:
Das Ende von Kummer und Sorgen,
der Beginn einer schönen Zeit,
mit viel Geld und ohne Streit!
Wer’s glaubt kriegt einen Orden.




Das Balzac-Haus

Ewiger Kaffeetrinker,
Nachtarbeiter.
Kolossales Werk,
Menschlicher Koloss.
Im schicken 16. Arrondissement
verkroch er sich vor der Welt,
schuf seine eigene –
nächtelang.

Sein Haus überraschend
niedrig,
mitten unter Bäumen,
zwei Eingänge,
ewige Flucht vor den
Créanciers.

Heute ein Museum,
eine materielle Hommage
an den immer Schaffenden
mit seinen gigantischen Tableaux.
Sein Werk verwahrt Erinnerung
an andere,
sein Haus atmet
Erinnerung an ihn.
Bei einem Spaziergang hindurch Gefühl,
dass er die Feder gleich wieder aufnehmen könnte.
Weiterschreiben!
Wo bleibt der Kaffee?




Der Nervenkitzel des doppelten Spiels

Doppelspiel
Doppelte Lügen
Ein Doppelagent

Allen Seiten gefallen,
jeder Front helfen,
allen etwas vorspielen,
jeden unterstützen.

Ein Netz aus Verrat,
aus Lug und Trug,
aus doppeltem Spiel,
spinnen und ausspannen.

Und warten,
solange bis endlich wer,
sich darin verfängt.

Doch wehe es trifft
den Doppelagenten,
den mit ihm
hat keiner Nachsicht!




Die baptistische Taufe

Eine Familie wartet.
Das Kind schreit.
Ein anderes quengelt.
Die Baptistenkirche,
erfüllt mit Schreien.

Der Priester?
Wo ist er?
Eine Taufe ohne ihn?
Unmöglich!

Man wartet ungeduldig.
Der wichtigste Protagonist,
er fehlt und ein Loch klafft.

Die verzögerte Taufe,
fällt sie aus?
Geduldsfaden gerissen
Schritte hallen durch den Raum.




Tiefer geht nimmer

Schneller als die Métro.
Ein halber Zug.
Verbindung zu Vororten,
Pendlerbewahrnis,
Zeitersparnis,
bunte Buchstaben zur Kennung
ab den 70ern.
Damals modern,
heute verwohnt,
auf einigen Strecken gefährlich,
führen in Brandherde.
Zerschneiden die Stadt.

Intramuros nur wenige Stationen,
für den Sprint gedacht,
auch ins nahe Grüne.
Intramuros – am tiefsten verbuddelt.
nicht enden wollende Rolltreppen
rollen nach oben,
führen hinab.

Es ist ein abgeschottetes Reich
gleich einem tiefen, tiefen Teich.




Der Dealer Ring an der High School

Schüler als leichte Beute
Jung und unerfahren
Absatzmarkt
Kundenstamm

Rendite
Pro Kauf
Pro Kopf

Spiel mit dem Tod
Rücksichtslosigkeit

Einer bezahlt.
Für immer und ewig.

Doch sie stehen,
wieder da.
Als wäre nichts geschehen.

Und bieten es an,
dieses Gift
für Körper und Geist.

Der Direktor der High School,
weiß nicht mehr weiter.
Hilflosigkeit
Gegen den Ring

Machtlose Polizei
Bewegungsunfähiger Staat
Zuschauen des Rechtsstaates

Alle wollen es ändern,
doch keiner weiß wie.
Ein mächtiger Dealer Ring,
der aus allen Rohren feuert.




Der eingemauerte Lebende

Da war jemand am Leben,
der wollte nach Einsamkeit streben.
Drum ließ er sich einmauern,
da konnte er in Ruhe kauern
und sich dem Tod hingeben.




Das Viertel der Existentialisten

In den 1950ern
Jugend
schwarz, schwermütig,
tief melancholisch.
Stiegen hinab
in die dunklen Keller
von Saint-Germain,
sangen sich
die Seele aus dem Leib,
abends,
nachts.

Tagsüber Treffpunkte
in Cafés,
Deux Magots, Flore
eifriges Kritzeln
auf Cafétischen.
Neue Philosophie
revolutionär?

Wo sind sie geblieben,
die schwarzen Pullover,
die rauchigen Stimmen aus
der Tiefe?
Die schwarz umrandeten
Augen?
Wo ist der Trauerflor
dieser Jugend?
Was haben ihre Ideen erreicht?
Haben sie die
Existenz verändert?
Saint-Germain existentialistisch –
heute nur noch touristisch.




Die unterlassene Observation

Wer seinen Posten räumt
und zur falschen Zeit träumt,
der gefährdet manch Leben!

Ohne Schutz dazustehen,
das kann nicht gut gehen.
Ein vermeidbares Opfer,
sinnloser Art!

Unterlassene Pflichten
Schludrigkeit im Dienst
So mancher zahlt mit Leben und Leib!

Wer etwas aktiv tut
oder passiv unterlässt,
der gibt bei Weitem nicht das Best!




Sanft säuselnde Ballettklänge

Zwei Ballettstangen
Eine riesige Tanzhalle
Fenster, so hoch
wie ein Haus.

Ballettklänge aus der Ferne
Eine Tänzerin,
anmutig und leise
zieht sie ihre Kreise.

In eleganten Bewegungen
und leichten Schritten

Sprünge ohne Schwerkraft
Tanz ohne Partner
Eine einsame Vorführung
Welch zurückgezogene Vorstellung

Abgeschiedene Ballettgala
Menschenleere Halle




Unheilvoller, maßloser Einfluss

Sein Einfluss ist recht unheilvoll,
das gebe ich zu Protokoll.
Er scheint sie zu einer schlechten Person zu machen,
irgendwann wird es so richtig krachen,
denn dann ist das Maß einfach nur voll.




Spaziergang über die Dächer

Stadt über der Stadt.
Schornsteinmeer –
orange, braun, rot,
überall.
Kein Entkommen.
Monumente durchbrechen,
graues Einerlei,
ein Dachgarten,
Bienenstöcke,
so weit droben.

Hier ist noch Platz,
hier ist noch Luft.
Kuppeln
markant,
Kirchen, Paläste
stechen hervor.

Es ist abgeschieden,
ruhig.
Verkehrslärm – leise Erinnerung.
Ach könnte man doch –
hier oben –
das wäre –
für immer –
faszinierend –
bleiben…




Die ewige Dame Metapher

Eine alte Dame
im neuen Gewand.
Durchschreitet Zeiten,
steigt über Moden hinweg.
In der Antike benutzt,
im Mittelalter gerühmt,
in der Neuzeit neuentdeckt,
eine ewige literarische Figur.

Mal Bild,
mal verkleideter Vergleich.
Die Metapher
tot, erstarrt, lebendig –
erscheint im Gewande vieler Arten.
Eingeschlichen in allen
Literaturgattungen,
im Drama eingenistet,
in der Prosa schwer gesucht,
in der Lyrik hochgepriesen.




Der qualvolle Märtyrertod

Wer aus Überzeugung stirbt,
hat bereits ein Wunder bewirkt.
Er hat ganz klar festjustiert,
dass der freie Wille existiert,
sich auf einen Heiligenplatz bewirbt!




Auszeit im Gemeinschaftshaus

Avenue und Kanal begrenzen
diese kleine Idylle.
Eine Insel in der Ghettotristesse
Ein Hort für eine Auszeit

Schwimmen oder Baseball
oder einfach nur im Grünen sitzen:
Im Gemeinschaftshaus,
da kann man abschalten.

Kinder spielen und toben,
hoffentlich vergessen sie kurz,
in welcher Umgebung sie aufwachsen.

Wichtig ist es, solche Orte zu haben,
wo Raum und Zeit
zu existieren aufhören.

Wo Spaß und Freude,
das Einzige sind,
was wirklich zählt.




Die ungebetene Unterwerfung

Warum unterwirft er sich?
So ganz plötzlich?
Welche Gründe mag er haben,
dass er dies nun kann ertragen?
Seine Motive liegen im Argen!

Ein Meinungswandel
So schnell und so gefährlich
Vor allem unerklärlich

So ungebeten
ganz ergeben,
ein Rätsel,
das mich bringt auf Abwegen.

Klar ist es jedenfalls,
das hält bestenfalls
einen Monat oder zwei,
dann ist er wieder dabei
aufmüpfig zu sein.




Die Herbstflaute

Rote, braune, gelbe
Tupfer,
in den Parks, auf den Alleen,
Blätter rascheln neben
Notre-Dame,
ungemütlich, kalt, grau,
noch trister
macht dies
die Fahrt in der Métro
jeden Morgen.

Die Gesichter werden länger,
trister, verschlossener.
Alle ziehen sich zurück
in ihren Herbstkokon.

Für die Touristen ist im Oktober
noch mal Hochsaison.
Sie strömen herbei,
beleben die Stadt,
Herbsttief – Herbstmief
kennen sie nicht.

Paris bricht noch einmal
Auf,
bevor sie sich zur Ruhe
legt,
langsamer wird
unwirtlicher wird.
Vor der großen Winterruhe
in der eisigen Wintertruhe.




Wenn die Zeit keine Rolle mehr spielt

Mancher, der verlässt das Arbeitsleben,
hat sein Zeitgefühl aufgegeben.
Der verquatscht sich den ganzen Tag,
fährt viel in Urlaub, wie er’s mag,
hat den ganzen Tag in der Sonne gelegen.




Eine Treppe zum Pazifik

Treppenstufen hinab
ins Nass
hinein ins Meer.

Mit jeder Stufe weiter
und weiter hinab.
Die Stufen werden glitschig,
man verliert den Halt.

Angst hinzufallen,
Furcht zu Ertrinken.
Wenn das Entsetzen
die Macht hat,
werden die Schritte zittrig.

Die Wellen bedrohen,
sie fluten die Treppe
und verschlingen alles
in ihrem Sog.




Die stolze Dame

Wächterin der Metropole.
Bei Nacht
zucken
Millionen Blitze
über das Gerüst.

Für fünf Minuten
vergessen alle alles,
niemand redet,
alle schweigen,
manch einer summt
vor Begeisterung.

Abruptes Ende,
die Goldbeleuchtung
kehrt zurück.
Die stolze Dame
auch nachts
immer gut zu sehen.
Die Leuchtstrahler
über der dritten Etage
drehen sich
die ganze Nacht.
Ruhiger Schlaf
im Schutz
der stolzen Dame.




Roter neoromanischer Backsteintraum

Neoromanische Halle
Backstein-Architektur
Vielseitigkeit an der Hausfront
Was man so alles machen kann!

Abwechslungsreiche Halbbögen
Zierde als Unterbrechung
Ein Baustil verliert Kontur.

Hier wurde ausprobiert,
die Zumberge Hall als Bauexperiment,
wie ein Romanisches Revival
durchgeführt werden kann.

Möglichkeiten wurden ausgelotet
Pläne verworfen
Eingänge neu konzeptioniert

Eine rote Wiedergeburt
Hier ist sie wahr geworden!




Ein dreister Sabotageakt

Das war reinste Sabotage
in der dummen Chefetage!
Diese Entscheidung versteht keiner,
weder Fritz noch der Rainer,
alle sind in großer Rage!




Ein Eispalast der Extraklasse

Vom Palais aus Glas
zum Palais aus Eis.
Pünktliche Verwandlung
zur Vorweihnachtszeit
in die gigantischste Eisfläche weltweit.
Durchgehend offen
darf jeder
schlittern,
begabt oder unbegabt,
trainiert oder untrainiert.

Schlittschuhe
von oranger Farbe
ausleihbar.
Eisabenteuer
auf übervoller Fläche,
Anfänger knallen
in Anfänger,
ungeübte Trauben
krallen sich
an der Bande fest.

Beste Besuchszeit?
Am Abend.
Beschauliches Gleiten
unter der Kuppel,
von Lasern beschienen.
Eisträume
im Grand Palais des Glaces.




Zeitreise im türkisen Art Deco-Wunder

Wie Fliesenverkleidung
Türkise Erscheinung
Ein Art Deco-Wunder
aus einer anderen Zeit

Goldene Fäden durchziehen
die einmalige Fassade.

Zeitreise,
in ein früheres Amerika.
Ein altes Leben,
neu entfacht.
Neuerfindung eines
vergangenen Stils.

Auf dem Dach
stolziert die Uhr.
Sie mahnt die Bewohner,
Vorsicht walten zu lassen.
Nur sie und sie allein,
zeigt die wahre Zeit an.




Von letzten Blättern

Lehrerinnentochter, Offizierstochter,
eine Kindheit zwischen Indochina und Algerien.
Weg des Lebens
führte sie
in die Résistance,
am Leben halten
einer illegalen Zeitung.

Der Literatur
schenkte Suzanne Prou
Erzählungen,
Krimis,
Romane.

Literaturpreise
und die Ritterschaft
der Ehrenlegion
krönen
diese Erzählerin.
‚Letzte Blätter‘
künden
von ihrem Leben.




Ein eminent begabter Graf

Trotz seiner Blaublütigkeit
hat er keine besondere Fähigkeit.
Er ist im Grunde ganz normal,
weder begabt noch genial,
drum regiert seine Hoheit.




Der Erdbeerenfanatiker

Die roten Früchte gelten ihm viel,
das Essen für ihn allgemein ein Spiel.
Erdbeeren mit Sahne,
so sehr man ihn auch ermahne,
bleibt sein liebstes Dessert-Gericht,
darauf übt er im Sommer nie Verzicht.

Manchmal genießt er sie auch mit Zucker gern,
doch glüht bei ihm auf kein Michelin-Stern.
Dafür bleiben seine Kreationen zu bieder,
selbst garniert mit einem Flieder.




Lauter bunte Blumen

Farbenreigen.
Gelb, orange, rot,
lila, pink, rosa, violett
silber, grün, blau.
In der Grünanlage des
Palais Galleria
tanzen die Farben:

munter über die Beete
hinweg,
den Besuchern entgegen.
Unglaublich frisch.
Unglaublich funkelnd.
Farbenandacht
der Farbenpracht.

Grauer Vorhang
am Abend,
Farbenschauspiel
beendet,
Farbenbühne
geschlossen.




Dinosaurierskelette im Museum

Brachiale Gewalt
Unbändige Kraft
Die schärfsten Zähne
Die längsten Krallen

Skelette vergangener Zeiten
Stumme Zeugen der Evolution
Monstervergleich
Gigantische Wesen
Mächtig und doch primitiv

Gewaltanwender
Konfliktlöser
Unterstes Niveau
Zur Schau gestellte,
lebendige Urgewalt

Etwas löschte sie aus!
Vernichtung einer Spezies
Fortgang der Evolution




Auf den Spuren des Opernphantoms

Dort, wo die Klänge versiegen,
wird sein Reich liegen.
Tief unten in der Dunkelheit
wartet er, auf uns bereit,
auf der Lauer wird er liegen.




Ein geheimnisvolles Freilicht-Museum

Eingang ins Grüne
durchs grüne Tor.
Das Graffiti-Museum gibt sich geheimnisvoll
an der langen Rue de Belleville.

Von außen unerkennbar.
Verborgen unter Bäumen,
unter durchsichtigen Netzen,
bunt besprühte Wände.

Street Art.
Coole Kunst.
Mal abstrakt.
Mal real.
Berührt,
abgestoßen.
Museumsemotionen.
Sprechblasen
wollen Antworten.

Das Museum fordert,
fordert auf.
Verlassen! Selber machen! Zur Kunst werden!
Ein starker Auftrag!




Magischer Familienbetrieb

Familienbetrieb,
Zauberkellner.
Jeder legt jeden rein.
Diskret und wie nebenbei
beim Servieren der Getränke.
Die Gäste schätzen
die familiäre Atmosphäre.

Eng und urgemütlich.
Drinnen und auf der Außenterrasse,
im Winter überdacht.

Eine winzige Bühne
im Untergeschoss.
Im ehemaligen Weinkeller.
Die Gewölbe noch erhalten.

Ein roter Vorhang
Hinter dem Zauberer,
der Zauberin.
Vater-Tochter-Duo,
talentiert, versiert
Verzaubert die Gäste.

Es wirkt traditionell
und ist doch alles andere.

Keine große Distanz
zum Publikum,
der Keller zu klein.
Unaufhörlicher Dialog mit den Zuschauern.
Magie fingerleicht.
Ein Augenzwinkern,
ein Handumdrehen:
wieder reingelegt!
Angenehm unaufdringlich.

Einstimmung auf Vorstellung
bereits im Erdgeschoss,
an gut sortierter Bar.
Oder Absacker,
fachsimpeln nach der Vorstellung:
Wie funktionierte der Trick?

Zuletzt
hinaustreten
auf den ebenso magischen
Place du Marché Sainte Catherine.




Verlogenheit der politischen Bürokraten

Sie lügen munter vor sich hin,
dabei denkt so mancher ‚Ich spinn‘,
doch das Lügengebäude stürzt nicht ein,
dafür ist die Zahl der Kritiker zu klein.

Bürokraten vom alten Schlage
Lassen an sich abprallen jede Klage,
die einfachen Leute können nach Hause gehen
und brav ihren Rasen mähen.

Kritik ist nicht gefragt,
weshalb so verzagt
sind viele engagierte Bürger,
die die Bürokraten entlarven als Würger.




Ein letztes Zucken unter Wasser

Kostbar ist der Sauerstoff,
besonders wenn es wird recht schroff.
Ist der Kopf erst unter Wasser,
wird man schnell zum Lungenhasser
und man auf zwei Kiemen hoff.




Romantisches Abendessen zwischen Himmel und Erde

Unter samtblauem Himmelszelt
ein weißgedeckter Tisch,
weiße Rosen, weiße Kerzen
entzünden die Herzen,
entzünden die Passion.

Kerzenmeer ringsum,
Laternenmeer bis in die Ferne.
Ein goldener Pfeil
erstrahlt aus dem grauen Häusermeer,
weist in die Unendlichkeit
des samtblauen Daches.

Platz genommen,
eingetaucht in die Szenerie,
Teil des Samtblauen,
Teil des Lichtermeeres.

Romantische Worte
auf romantischem Dach
irgendwo zwischen Himmel
und Erde.
Aber im Schoße Paris‘.




Von Gentrifizierung und Yuppisierung

Eine lebhafte Chinesengemeinschaft,
sie teilt ihr Wurzeln untrennbar
mit Chinatown.

Doch nichts hält ewig
und schnell gestört
ist die verschworene Gemeinschaft.

Die Yuppisierung, sie beginnt
und verschlingt das ganze Viertel.

Ein Austausch
Ein ernstzunehmender Strukturwandel
Eine anhaltende Änderung
Gentrifizierungswahnsinn

Man erkennt es nicht mehr wieder,
dieses Viertel,
diese Gemeinschaft,
jenes Leben.




Bunte Fontänen vor der Kirche

Seltsame Gebilde
ragen aus dem Wasser
Bunt, knallig, ansprechend.
Drehen sich im Wind,
schaukeln in der Brise.

Sie kommunizieren
mit dem Passanten,
laden ein,
stehenzubleiben,
regen an
nachzudenken.

Eine kurze Pause
vom Alltagstrott,
vom Touristenrausch.

Auf einen bunten Plausch
mit den Fontänengestalten
vor der Kirche Saint-Merry!




Küche voller Genüsse

Des Koches Ergüsse
sind reinste Genüsse.
Alles scheint hier zu schmecken,
selbst Muscheln oder Schnecken,
auch der Salat und Nüsse.




Monumentebesetzung in aller Eleganz

Weißes Meer Picknickfreudiger.
Taschentuchschwenken,
Wunderkerzenschwenken,
weißes Meer vor blauer Nacht.

Tanzbeine schwingen,
Münder schlemmen Pastete,
Wein in den Schlünden,
Champagner, andere Spirituosen verpönt.

Ausgelassenes Hüpfen auf Tischen,
Polonaisen durch die Menge,
die kultivierte Eleganz
zerfasert, zerfällt
im Laufe des Abends.

Pariser Monumente als Kulisse,
doch die Bewegung nun international,
auf der ganzen Welt
lieben sie anarchische Picknicke
ganz in Weiß,
nur in Weiß.




Die moderne Shakespeare-Aufführung

Englische Tradition
An der Westküste,
dort findet man sie.

Klassisches Theater
Neu interpretiert
Denkanstöße kreiert

Hamlet und Othello
Neuauflagen eines Stoffes,
der nie alt zu werden scheint.

Intrigen am Hof
Unglückliche Liebesgeschichte
Mord und Raub
Menschliche Abgründe,
sie tun sich auf.

Phantastisches Spiel
Welle der Begeisterung brandet
durch den Raum.




Ein Doppelgänger in Seemannskluft

Der Matrose sieht aus wie ein Klon
von meinem großen Sohn.
Gesicht und Statur,
Haare und Figur,
so gleich und beängstigend schon!




Ein Zeichen des Industriestolzes

Zu jeder Jahreszeit,
zu jeder Tageszeit
bleibt die eiserne Dame
eine Entdeckung.
Sie beeindruckt
jeden und jedes Mal aufs Neue.
Elegant.
Hochaufragend.
Himmelwärtsstrebend.

Ein Bauwerk
für zwei Jahre
wurde zu einem Symbol
der Nation.

Der Protest zur Eröffnung
verstummte,
wich einem
immerwährenden Jubel.

Der Eiffelturm –
Zeichen des Industriestolzes,
der Pionierwahnsinns,
der fantastischen Ingenieurskünste.




Die plötzliche Amerikareise

So plötzlich verreisen?
Was soll das beweisen?
Bekommt man so schnell einen Flieger?
Warum kommt er dann so spät wieder?
Fragen, die im Kopfe kreisen.




Die Aussicht auf ein Eckbüro

Gar zu verlockend dieser Traum,
der Griff nach einem größeren Raum.
Und dann auch noch an der Ecke,
da wird jeder Mitarbeiter zur giftigen Zecke.

Ellbogen fahren aus,
machen den Kollegenkonkurrenten den Garaus.
Jede Freundschaft springt über die Klippe,
Bekanntschaften stehen auf der Kippe.

Jeder denkt nur noch an sich,
versetzt den anderen Stich um Stich.
Die Vergabe eines Eckbüros,
versetzt so manchem den Todesstoß.




Ende

© 2021 Nicolette Marquis https://www.carminis.de